Von Wolf Strauß


Die „Hamburger Turnerschaft von 1816“ ist vermutlich der älteste ununterbrochen bestehende Sportverein der Welt und somit 204 Jahre alt.

Dagegen ist der SC Karate Bestensee e.V. ein junger Verein. Das Durchschnittsalter seiner Mitglieder ist 18 Jahre, die jüngsten von ihnen sind gerade vier Jahre alt. Und 18 Mitglieder sind sogar älter als der Verein selbst, der in diesem Jahr 30 Jahre alt wird.

Er wurde am 25. September 1990 in Bestensee gegründet, acht Tage vor dem Zu-sammenschluss der beiden Teile Deutschlands. Es war die Wende, die damals die Möglichkeiten für die Bildung freier Vereine eröffnete. Karate war in der DDR zwar nicht formal verboten, aber auch nicht erwünscht und wurde nicht gefördert. Folglich war vor der Wende an einen Verein, insbesondere an einen, der nicht unter Staatsaufsicht stand, gar nicht zu denken.

Als im Oktober 1990 der SC Karate Bestensee in das Vereinsregister eingetragen wurde, war Bestensee bereits eine Gemeinde im Land Brandenburg, das am Tage der Vereinigung neu gegründet worden war.
Das Training begann in der Turnhalle der damaligen Schule. Sie ist mittlerweile verschwunden und durch die neue, größere und sehr gut ausgestattete Halle der Landkostarena ersetzt worden.

Aller Anfang ist schwer – und wie lernt man Karate, woher bekommt man einen Trainer, wie organisiert man einen Verein, wo kann man trainieren? Trainer aus anderen Vereinen kamen zu Lehrgängen nach Bestensee und langsam begann das Turnierleben auch in Brandenburg. Bei den 1. Jugend- und Juniorenmeisterschaften des Landes 1993 erreichten einige Bestenseer Karateka bereits die Siegerpodeste.
Die formalen Dinge für Vereinsgericht und Finanzamt sind erlernbar, ebenso einen Raum zu besorgen, der die Mitglieder zum Training aufnehmen kann – die Gemeindeverwaltung hilft mit der Vergabe der Hallenzeiten.

Gibt es Unterschiede zwischen einem Verein im Westen und einem in den vor drei-ßig Jahren hinzugekommenen Bundesländern? Anfangs gewiss, denn die Situation hier unterschied sich nach 40 Jahren der Trennung doch von der in den Altländern.

Heute sind diese Unterschiede nivelliert und spiegeln eher regionale Besonderheiten: Mundartliche Eigenheiten von Brandenburgern und Rheinländern werden nicht anders bewertet als die von Schwaben und Friesen, die Verkehrsformen gar zeigen kaum Abweichungen, wie man auf den Turnieren in den verschiedenen Regionen Deutschlands feststellen kann.

Der Umbruch der Wende hat neue Strukturen hervorgebracht, in der Gesellschaft, in der Verwaltung, im Alltag. Im Laufe der Zeit laufen sich diese Dinge ein und der Verein beginnt, sich zu entwickeln. Es kommen mehr Interessierte hinzu, darunter auch Kinder. Anfangs ist man skeptisch, ob Kinder die speziellen Anforderungen des Karate an die Disziplin und die traditionelle Etikette erfüllen können.

Karate entstammt nicht nur einer ganz anders geprägten Kultur, sondern war in seiner traditionellen Form als japanische Kampfkunst auch Ausdruck eines philosophisch rationalisierten, hierarchischen, autoritären Selbstverständnisses der Gesellschaft Japans vor dem Zweiten Weltkrieg.

Die Praxis im Verein zeigt jedoch, dass Kinder durchaus lernen, mit zeremoniellen Übungen umzugehen und zugleich Karate als Sport aufzufassen, der geprägt ist von gegenseitigem Respekt, Fairness und Toleranz. Karate als Sport in einem gemeinnützigen, ehrenamtlich betriebenen Verein ist keine Lizenz zum Prügeln in freier Wildbahn. Das zu akzeptieren ist überhaupt die Voraussetzung, um beim SC Karate Bestensee e.V. mitzumachen.

Zu den unabdingbaren Regeln des Sports gehört, dass es im Karate keinen ersten Angriff gibt! Auf japanisch liest sich das: 二、空手に先手無し 。(Gesprochen: karate ni sente nashi!)

Karateka – so werden die genannt, die diesen Sport betreiben – berichten, dass sie umso weniger in „kritische Situationen“ geraten, je länger sie den Sport betreiben.

Gegen Ende der Neunziger Jahre begann die kooperative Partnerschaft mit der Dabendorfer Karatevereinigung Makoto e.V.: In den Sommerferien wurden seitdem gemeinsam für Kinder und Erwachsene einwöchige Zeltlager organisiert. Das bedeutet fünf Tage Training und für die, die sich danach ausreichend vorbereitet fühlen, auch eine Prüfung, um die nächste Stufe in der Graduierung des Karate zu erklimmen.

Der SC Karate Bestensee e.V. wächst in den kommenden Jahren und auch der lokale Einzugsbereich, aus dem die Vereinsmitglieder kommen, wächst beständig. Zusätzlich zum Breitensport für Groß und Klein entsteht auch eine kleinere Gruppe von Wettkämpfern. Sie nehmen an regionalen und überregionalen Turnieren teil und einigen dieser Karateka gelingt es, in das Brandenburger Landeskader aufgenommen zu werden und internationale Wettkämpfe zu bestreiten. Ein- oder zweimal im Jahr finden Lehrgänge zu den verschiedenen Themen statt.

Im Verlaufe der Zeit werden die Kontakte zur benachbarten Schule gepflegt. An den Projekttagen werden immer wieder mit den Schülern Karate-Einführungen veranstaltet, kräftig unterstützt von den Kindern, die bereits Mitglieder des Vereins sind.

Bestensee wird auch mal für die Durchführung der Landesmeisterschaften ausgewählt und richtet immer wieder einmal den mittlerweile traditionellen, sogenannten „KDB-Tag“ aus, bei dem der brandenburgische Karate Landesverband die Vielfalt und das Leistungsniveau dieser Sportart in Brandenburg mit vielen verschiedenen Einzelvorstellungen präsentiert.

Und last but not least wird Bestensee ab dem August 2020 das monatlich stattfindende Training des Kata-Landeskaders beherbergen.

Einen Ost-West-Unterschied nach dreißig Jahren haben wir am Schluss aber doch noch gefunden: Nach soziologischen Untersuchungen gibt es gemessen an der Zahl der Mitglieder eines Vereins in den Ost-Vereinen mehr Aktive als in West-Vereinen. Die haben mehr passive Mitglieder. Und das gilt nicht nur im Karate, sondern für alle Sportvereine. Sogar für die „Hamburger Turnerschaft von 1816“!

 

 

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